Edmund H. Schlummer – Schlummer Management Consulting
„Eisenbahn ist nicht Eisenzeit“
Edmund H. Schlummer, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter Schlummer Management Consulting GmbH, Zierenberg
Edmund H. Schlummer war über 20 Jahre mit verantwortungsvollen Leitungsaufgaben in der Bahnwelt betraut. Zukunftsbranche Bahn fragte, was ihn am Schienensektor so fasziniert und welche Tipps er Berufseinsteigern in der Bahnbranche geben kann.
Herr Schlummer, warum haben Sie sich als junger Mensch gerade für die Arbeit in der Schienenbranche entschieden?
Die Eisenbahn hat mich als kleiner Junge begeistert wie nichts anderes. In der Nähe meines Wohnortes führte eine stark befahrene Hauptbahnstrecke entlang. Wohl weniger zur Freude der damaligen Deutschen Bundesbahn, aber sehr zu meinem kindlichen Vergnügen gab es da ein Blocksignal, an dem die Züge manchmal anhalten mussten. Das Wiederanfahren der Dampfloks mit der gewaltigen Geräuschkulisse hat mich unglaublich fasziniert. Die Modell-Lokomotive V200 meiner Kindheit schmückt heute noch mein Büro.
Wie war Ihr Weg in die Bahnindustrie?
Nach der mittleren Reife startete ich mein Berufsleben mit der Ausbildung zum Energieanlagenelektroniker in der chemischen Industrie. Dort hatte ich mit Starkstrom- und Automatisierungstechnik zu tun – ideal für mein Studium und den Einstieg in die Bahntechnik, wie sich später herausstellte.
Nach der Lehre erwarb ich nebenberuflich das Abitur und studierte in den Achtzigerjahren Allgemeine Elektrotechnik an der RWTH Aachen. In den letzten Semestern arbeitete ich dort als studentische Hilfskraft am Institut für Stromrichtertechnik und elektrische Antriebe. Dort lernte ich die Grundlagen über die Kernkomponenten moderner Schienenfahrzeuge. Denn Lokomotiven sind heute mit Starkstromtechnik und Elektronik geradezu vollgestopft. Im Nachhinein betrachtet wurde die Stromrichtertechnik mein beruflicher roter Faden. Nach dem Studium hatte ich das große Glück, meinen Einstieg bei ABB in der Entwicklung von Antriebsstromrichtern für Lokomotiven zu finden. Schon nach sehr kurzer Zeit bekam ich die Projektleitung für einen innovativen neuen Lok-Stromrichter mit einer Leistung von 6400 kW übertragen. Von da an wusste ich: Das ist mein Ding.
Was ist heute so faszinierend daran, Züge zu bauen?
Eisenbahn steht in dem Ruf, altmodisch und irgendwie „Old Economy“ zu sein. Aber: Eisenbahn ist nicht Eisenzeit. Die Bahnindustrie setzt klar auf Hightech und Innovation. Die schnellsten Züge fahren weit über 300 km/h und sind in Entwicklung, Erprobung und Zulassung mit der Luftfahrttechnik vergleichbar. Warum soll zum Beispiel nur die Autoindustrie für Hochschulabsolventen sexy sein? Dort sind Sie in den ersten Berufsjahren vielleicht für die Entwicklung des Türschlosses zuständig. In der Bahnindustrie dagegen kann man sehr schnell viel größere Verantwortung übernehmen. Schon fünf Jahre nach meinem Studienabschluss war ich als Gesamtprojektleiter für Konstruktion, Einkauf, Fertigung, Test und Inbetriebnahme einer ganzen Lokomotivenserie für eine afrikanische Staatsbahn ergebnisverantwortlich. Wenn ich an diese Zeit zurück denke, bekomme ich heute noch leuchtende Augen!
Was kann junge Menschen für die Arbeit in der Bahnindustrie begeistern?
Die Bahnindustrie in Europa ist dynamisch und zukunftsorientiert. Im Schienenfahrzeugbau entsteht jeden Tag neu eine einzigartige Verbindung zwischen traditionellem Anlagenbau und modernen Technologien. Bestens ausgebildete junge Menschen können ihr aktuelles Wissen direkt in interdisziplinäre Anwendungsgebiete einbringen. Hard- und Softwareentwicklung für ausdifferenzierte Stromrichter, für redundante Sicherungssysteme und Kommunikationsarchitekturen stehen genauso hoch im Kurs wie innovative Technologien für ökologisch nachhaltige Antriebe oder den effizienten Bau und Betrieb von Eisenbahnen. Wenn die erste Lokomotive, an der man selber mitgearbeitet hat, auf Probefahrt geht, dann ist das ein außerordentliches Glücksgefühl.
Mehr noch, dem Schienenverkehr gehört die Zukunft, allein schon aufgrund seiner positiven Ökobilanz. Elektrisch betriebene Schienenfahrzeuge mit Energierückgewinnung beim Bremsen sind in Europa heute Standard. Auch gesellschaftlich kann man einen Wandel deutlich erkennen. Der Individualverkehr ist für die jüngere Generation heute nicht mehr so wichtig, wie noch zu meiner Jugendzeit. Und sehr viele Menschen, jung und alt, begeistern sich für Eisenbahn oder Modellbau, was man an der großen Vielfalt an entsprechenden Magazinen im Bahnhofsbuchhandel gut erkennen kann.
Welche Fähigkeiten sind in der Branche besonders gefragt?
Das ist in erster Linie die Fähigkeit, komplexe Projekte zu überschauen und erfolgreich zu managen. Meine Empfehlung: Sammeln Sie praktische Erfahrung in möglichst verschiedenen Projektmanagement-Funktionen. Qualifizieren Sie sich nach einigen Jahren der anspruchsvollen Ingenieursarbeit für die Projektleitung. Oder übernehmen Sie gezielt funktionale Verantwortung in international aufgestellten Projektteams.
Was muss man als junger Mensch mitbringen, um später im Beruf Verantwortung zu übernehmen?
Für mich sind Können und Wollen entscheidend. Wer kann und will, darf in der Bahnindustrie sehr schnell Verantwortung übernehmen und wird dabei inspirierende Mentoren finden. Neben solidem, ingenieurfachlichem Können und persönlicher Reife ist echte Begeisterungsfähigkeit, ja Leidenschaft, förderlich, um bei Schienenfahrzeugherstellern Karriere zu machen. Man muss zeigen: Ich will jetzt Verantwortung übernehmen. Ich löse komplexe Aufgaben selbständig. Ich antizipiere neue Anforderungen, erkenne Veränderungen und offeriere Lösungsszenarien. Ich will hier vorankommen und stehe für das Ergebnis ein. Denn: Oben sind noch Plätze frei; da will ich hin!
Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: Bombardier Transportation