Hendrik Stalmann-Fischer – Student der Verkehrswissenschaften an der TU Dresden
„Man muss neugierig sein, um über den Tellerrand eines Verkehrsträgers hinauszuschauen“
Interview mit Hendrik Stalmann-Fischer, Student der Verkehrswissenschaften an der TU Dresden
Hendrik Stalmann-Fischer ist 20 Jahre alt und studiert seit 2011 Verkehrsingenieurwesen an der Technischen Universität Dresden, ab dem kommenden Semester mit dem Schwerpunkt Eisenbahn und ÖPNV. Im Gespräch mit Zukunftsbranche Bahn erklärt der gebürtige Hamburger, warum er sich für ein Studium mit Eisenbahn-Schwerpunkt in Dresden entschieden hat und welche Erfahrungen er dort bisher gemacht hat.
Herr Stalmann-Fischer, wie kam es zustande, dass Sie sich für ein Studium mit einem Eisenbahn-Schwerpunkt in Dresden entschieden haben?
Ich hatte schon lange ein grundsätzliches Interesse an Mobilitätsfragen, also was fährt wo und warum. Bereits als Kind fand ich Eisenbahn faszinierend, weil sie einerseits technisch anspruchsvoll ist – wie zum Beispiel Hochgeschwindigkeitsverkehre – und andererseits höchst komplex; man denke an die Nahverkehrsnetze in den Metropolen. Ich fand es immer sehr spannend, mich mit solchen Themen zu beschäftigen.
Muss man mit der Modelleisenbahn im Kinderzimmer oder auf der Dampflokomotive groß geworden sein, um sich für das Thema Eisenbahn zu begeistern?
Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass man eher Interesse an technischen Fragen und Planungsprozessen haben muss. Wir haben hier an der Fakultät auch viele Studenten, die eisenbahnspezifische Themen vertiefen, aber gar nicht aus der Fachrichtung kommen, weil sie sich einfach für die Technik begeistern können oder zum Beispiel für das Zusammenspiel der unterschiedlichen Faktoren in Fragen der Netzbildung.
Was muss man denn mitbringen, um im Studium des Verkehrswesens Erfolg und Freude zu haben?
Man muss grundsätzlich an dem Thema Mobilität interessiert sein und man muss neugierig sein, um über den eigenen Tellerrand eines bestimmten Verkehrsträgers hinauszuschauen. Außerdem muss man einfach einen guten Blick auf die Welt haben, aufmerksam durchs Leben gehen und schauen, was die Tücken des Alltags sind und wo man Dinge verbessern kann. Es ist extrem hilfreich, wenn man sich aus dem täglichen Leben heraus dem Thema widmet und aufgrund der eigenen Alltagserfahrungen mit Mobilität Problemstellungen und Lösungen entwickelt.
Welche Kenntnisse und Fähigkeiten sollte man aus der Schule mitbringen?
Es ist schon von Vorteil, wenn man in Mathe gute Noten hatte. Allerdings glaube ich, dass man dieses Studium mit ein bisschen mehr Anstrengung auch ohne diese Voraussetzung aufnehmen kann. Nicht umsonst kann man sich für das Studium des Verkehrswesens an der TU Dresden statt mit dem Abitur zum Beispiel auch mit einem Meisterbrief bewerben.
Wie beurteilen Sie das Curriculum der Verkehrswissenschaften in Dresden?
Dresden punktet natürlich extrem dadurch, dass es eine Fakultät Verkehrswissenschaften gibt, wo einem praktisch die gesamte Bandbreite des Themas geliefert wird. Im Verkehrsingenieurwesen bekommt man im Grundstudium beispielsweise Einblick in wirtschaftliche, technische, politische, gesellschaftliche und weitere Aspekte des Verkehrs und dazu noch in alle Verkehrsträger. In Dresden ist einfach durch die vielen Professuren, die zu vielen verschiedenen Teilbereichen im Verkehrswesen existieren, eine geballte Kompetenz vorhanden. Was ich an Dresden auch sehr schätze, ist der Zusammenhalt unter den Studenten in den Verkehrswissenschaften.
Können Sie uns ein Beispiel nennen, mit was Sie sich als angehender Verkehrswissenschaftler ganz konkret und praxisbezogen beschäftigt haben?
Ja, da gibt es tatsächlich ein Beispiel. Im Grundstudium lernt man im Fach Bahn und ÖPNV die Stellwerkstechnik in Deutschland kennen und man hat Gelegenheit, sich als Fahrdienstleiter auszuprobieren. Dafür steht ein großes Eisenbahnbetriebslabor im Keller der Fakultät bereit, das den Bahnbetrieb im Modell realistisch nachbildet. Dort gibt es von einem alten elektrischen Stellwerk von Siemens von 1910 bis hin zu einem modernen ESTW ganz unterschiedliche Stellwerkstypen, sogar noch mechanische Stellwerke. Als Student bekommt man dort einen Fahrplan vorgelegt und man muss an jedem Stellwerk einmal Fahrdienstleiter spielen und den Bahnbetrieb durchführen, während die Züge im Modell ganz realistisch unterwegs sind.
Gab es im Studium Dinge, die Sie nicht erwartet hätten und die Sie vielleicht sogar überrascht haben?
Ja, ich war zum Beispiel sehr überrascht von Fragen rund um unsere Umwelt – und zwar davon, wie stark man die Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt mathematisch und sogar in Geldwert berechnen kann. Überrascht hat mich auch, wie sehr mir die Vorlesung Luftverkehrsanlagen gefallen hat. Inzwischen schätze ich es sehr, dass man hier eine gewisse Interdisziplinarität von Anfang an mitgeliefert bekommt. Man blickt von Beginn an auch auf andere Verkehrsträger und lernt dabei oft für den eigenen Lieblingsverkehrsträger etwas. Auch das hat mich positiv überrascht. Darüber hinaus fand ich immer interessant, wirtschaftliche Fragen zu beleuchten, um beispielsweise zu entscheiden, wann ich welchen Verkehrsträger einsetze. Besonders spannend finde ich, zu entscheiden, wann ist Eisenbahn sinnvoll, wann lasse ich lieber einen Bus fahren oder wann nehme ich ein komplexes, neues System – vielleicht auch mal eine Seilbahn oder den Transrapid.
Haben Sie schon konkrete Vorstellungen davon, in welchem Bereich oder in welcher Art von Unternehmen Sie einmal arbeiten werden?
Ich vertiefe das Fach Verkehrssystemtheorie mit dem Schwerpunkt Eisenbahnverkehr und ÖPNV. Das liefert die Grundlagen für Netzplanung, Linienplanung und Kapazitätsplanung. Es kann also durchaus zu so einem Unternehmen wie DB Netz AG gehen, wo man dann quasi Trassenplanung macht. Es kann aber auch zu einem Aufgabenträger im ÖPNV gehen, bei dem man für die Angebotsplanung zuständig ist, oder eben zu einer Consultingfirma, bei der man Angebote ausarbeitet und Fahrpläne gestaltet. Da bin ich zurzeit noch sehr offen, ich denke, das wird sich im weiteren Verlauf meines Studiums genauer herausbilden, wo ich dann später lande.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde im Jahr 2013 mit Herrn Stalmann-Fischer geführt.
Foto: Privat