Bewerber unter der Lupe
Das Assessment Center
Das Assessment Center (AC) gilt als das schwierigste Auswahlverfahren, bei dem die Bewerber nicht nur auf ihr Fachwissen, sondern auch auf Kontakt- und Kommunikationsvermögen, Problemlösungskompetenz, Konzentrationsfähigkeit und Allgemeinwissen hin geprüft werden.
Obwohl jedes AC unterschiedlich konzipiert ist, gleichen sie sich in bestimmten Punkten. So tauchen einzelne Aufgabentypen immer wieder auf. Eine gute Vorbereitung ist daher sinnvoll und eigentlich auch unverzichtbar, damit Sie souveräner in die Prüfungssituation gehen und besser abschneiden.
Die typischen AC-Aufgaben sind:
Vorstellungsrunde
Zumeist werden Sie als Bewerber aufgefordert, sich den anderen Teilnehmern vorzustellen. Manchmal wird an diese Vorstellung eine zusätzliche Aufforderung geknüpft (Beispiel: „Stellen Sie sich bitte kurz vor und erzählen Sie uns, welches Motto Sie in Ihrem Leben begleitet“). An dieser Stelle möchten die Beobachter (Assessoren) Ihr Kommunikations- und Kontaktverhalten überprüfen.
Tipp: Bleiben Sie freundlich und gelassen. Vermeiden Sie ausschweifende Reden, aber seien Sie auch nicht zu schüchtern oder wortkarg. Eine fünfminütige Selbstpräsentation über Ihre Person und Ihre (berufliche) Motivation lässt sich gut vorbereiten und vor Freunden üben. Wenn Ihre Mitbewerber an der Reihe sind, lächeln Sie und zeigen Sie sich offen, informationsbereit und interessiert an dem, was sie zu berichten haben.
Gruppendiskussion
Ihre Gruppe wird aufgefordert, gemeinsam über ein bestimmtes Thema zu diskutieren, das entweder vorgegeben oder von allen AC-Kandidaten gemeinsam ausgewählt werden muss. Einen Diskussionsleiter gibt es nicht. Jeder vertritt seinen eigenen Standpunkt. Am Ende soll ein Diskussionsergebnis vorliegen, das gemeinsam erarbeitet wurde und von allen getragen wird. Dabei kann es unter den Teilnehmern schnell zu Meinungsverschiedenheiten und Spannungen kommen.
Solche Diskussionsrunden oder Aufgaben, die es zusammen zu lösen gilt, dienen dazu, Ihre Kooperations- und Kompromissbereitschaft sowie Ihre Durchsetzungsfähigkeit zu testen.
Tipp: Seien Sie weder der Erste noch der Letzte, der sich zu Wort meldet. Fallen Sie nicht durch zu viel oder zu wenig an Beiträgen auf, sondern dadurch, dass Sie Standpunkte zusammenfassen, gegebenenfalls sinnvoll ergänzen und der Diskussion eine Richtung geben. Loben Sie ruhig andere Teilnehmerbeiträge, die Sie für gut befinden. Dadurch zeigen Sie, dass Sie das Ergebnis vor Ihr Ego stellen.
Rollenspiel
Sie bekommen eine konkrete Aufgabe gestellt, zum Beispiel einem Kunden ein bestimmtes Produkt zu verkaufen, einen unzufriedenen Auftraggeber zu beruhigen oder ein schwieriges Mitarbeitergespräch zu führen. In der Regel haben die beiden Rollenspieler einen Kompromiss herauszuarbeiten und zu verhandeln. Gefragt ist in solchen Konstellationen Ihre Fähigkeit zur Diplomatie, Ihre Sprachgewandtheit, Ihre Entscheidungs- und Überzeugungskraft und wie Sie Ihr Kommunikationsziel erreichen.
Tipp: Leiten Sie Ihr Gespräch freundlich und aufmunternd ein. Kommen Sie dann zügig zur Sache und benennen Sie, worum es konkret geht, ohne jedoch Vorwürfe zu machen oder unangenehm zu sein. Jede Polemik sollten Sie vermeiden genauso wie Beschimpfungen oder offensichtlichen Druck. Fordern Sie den anderen auf, Lösungsvorschläge zu machen, und fragen Sie nach, was ihm fehlen und wie man ihn unterstützen könnte. Auch diese Übung lässt sich im Voraus gut mit Freunden üben.
Präsentation
Auch für Ihren Kurzvortrag wird Ihnen das Thema entweder vorgegeben oder man lässt sie frei wählen. Zur Vorbereitung bleiben Ihnen meist nur wenige Minuten Zeit. Danach sollen Sie Ihr Publikum – das Auswahlgremium und die Mitbewerber – gut unterhalten. Diese Übung bringt zum Vorschein, wie Sie als Einzelner vor anderen auftreten. Wie schon bei der Vorstellungsrunde möchte das Gremium hier Ihre Rhetorik, Ihr Selbstvertrauen und Ihre Überzeugungskraft testen.
Tipp: Ein gelungener Kurzvortrag setzt sich aus einer guten schnellen Einleitung, einer angenehmen Prise Humor und dem Einsatz der Medien, die Ihnen zur Verfügung gestellt werden (Flipchart, Beamer, Overheadprojektor, Zeichnungen etc.), zusammen.
Postkorb
Neben Intelligenz-, Konzentrations-, Leistungs- und Persönlichkeits-Tests gehört zu den am häufigsten eingesetzten schriftlichen Tests die Postkorb-Übung, die jeder AC-Teilnehmer für sich allein erledigt. Dazu bekommen Sie ganz viele verschiedene Zettel (daher der Name Postkorb) oder eine lange Liste mit Aufträgen unterschiedlichster Wichtigkeit, die unter Zeitdruck erledigt werden müssen. Ihre eigentliche Aufgabe ist dabei, eine plausible Reihenfolge in der Bearbeitung zu finden:
Was ist wirklich wichtig und muss sofort erledigt werden?
Was kann warten?
Was lässt sich delegieren?
Hier müssen Sie Ihr logisches Denkvermögen, Ihr Organisationstalent und Ihre Entscheidungsfähigkeit, aber auch einen gewissen Weitblick unter Beweis stellen.
Tipp: Verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick und setzen Sie dann Prioritäten. Im anschließenden Gespräch sollten Sie zu Ihren Entscheidungen stehen, sich von heiklen Nachfragen nicht aus der Fassung bringen lassen, aber berechtigte Kritik auch annehmen können.
Letztendlich geht es im AC aber genau wie im Vorstellungsgespräch auch darum, Sympathie und Vertrauen für sich zu gewinnen. Zeigen Sie sich offen, informationsbereit und bemühen Sie ich um eine aktive Teilnahme. Dann wird man Ihnen den Job auch zutrauen!
Beispiel Postkorb-Übung
Es ist Dienstag, der 7. Oktober, 11 Uhr. Sie sind der technische Leiter eines mittelständischen Unternehmens, das Flugzeugteile produziert. Soeben kommen Sie von einem Arztbesuch ins Büro. Um 13.05 Uhr fliegen Sie für knapp eine Woche nach Tel Aviv, um eine neue Fabrik offiziell in Betrieb zu nehmen. Die lokale Prominenz wartet dort auf Sie, der Eröffnungstermin ist unaufschiebbar. Der Arzt, den Sie wegen Herzrhythmusstörungen aufsuchten, hat Sie vor zu viel Stress gewarnt. Ihr Taxi zum Flughafen ist ab 11.20 Uhr bestellt und braucht normalerweise 40 Minuten. Sie müssen mindestens eine Stunde vor Abflug am Flughafen sein. In dieser Zeit gibt es eine Menge zu erledigen, denn aus Tel Aviv haben Sie dazu praktisch keine Möglichkeit.
Die Aufgabe
Wie würden Sie vorgehen? Notieren Sie stichwortartig Ihre Entscheidung, Ihre Umgangsweise im Zusammenhang mit den jetzt auf Sie zukommenden Aufgaben, Ereignissen und Problemen. Vermerken Sie bei jedem Schritt, wie viel Zeit Sie für die Bearbeitung einplanen.
- In Ihrem Büro sitzt schon einer Ihrer Abteilungsleiter und fängt sofort an, stolz von einem durchschlagenden Entwicklungserfolg zu schwärmen. Er geht tief ins Detail und fragt nach mehr personeller Unterstützung.
- In dem Augenblick klingelt das Telefon. Der Direktor Ihrer privaten Bank erklärt, dass es um die Zinsen Ihres geplanten Hausbaukredites gehe. Um 12 Uhr werden neue, ungünstigere Zinskonditionen fällig. Er bittet Sie, doch kurz in der Bank vorbeizukommen.
- Die Sekretärin legt Ihnen ein Fax vor. Der Vorstandsvorsitzende bittet Sie vor Ihrer Abreise noch einmal um telefonische Kontaktaufnahme. Es sei wichtig.
- Außerdem haben Sie einen Bewerber am Telefon, der Ihnen vor einigen Wochen Bewerbungsunterlagen geschickt hat. Haben Sie kurz Zeit?
- Sie schalten Ihren Computer ein und entdecken eine persönliche E-Mail: Der Makler hat einen potenten Käufer für Ihr altes Haus gefunden, der mehr zahlen will, als zu erwarten war. Bis 11.15 Uhr sollen Sie zurückrufen.
- Die Sekretärin übergibt Ihnen einen an Sie persönlich adressierten Umschlag, der gerade abgegeben wurde. Sie überfliegen den Inhalt. Hierin wird Ihr Pressereferent massiv, aber anonym beschuldigt, einen nicht näher bezeichneten Vertrauensbruch begangen zu haben.
- Der Vorstandsvorsitzende ist am Telefon. Er hat eben den gleichen Brief mit selbigem Inhalt bekommen und fragt Sie nach Ihrer Einschätzung.
- Die Sekretärin berichtet Ihnen von dem Anruf Ihres Gärtners, der wissen will, was er mit einem eben zugelaufenen Hund machen soll. Und ob der Rasen schon wieder gemäht werden soll. Sie mögen bitte kurz Bescheid geben. Die Sekretärin sagt noch, dass sie soeben in den Radionachrichten von Unruhen in Tel Aviv gehört hat. Sie blickt Sie fragend an.
Lösung der Beispielaufgabe
In dem hier stark verkürzten Beispiel einer Postkorbübung geht es weniger um die richtige Reihenfolge, sondern mehr um die effektive Nutzung der verbleibenden Zeit. Sicherlich gibt es keine Patentlösung, doch machen einige Vorschläge mehr beziehungsweise weniger Sinn. Vergleichen Sie unsere Ideen mit Ihren Entscheidungen. Wichtig: Maximal 25 Minuten (das Taxi kann noch 5 Minuten warten) haben Sie für acht Entscheidungssituationen. Das bedeutet im Durchschnitt etwas mehr als drei Minuten.
- Das ist nicht der richtige Moment für Detailerzählungen. Gratulieren Sie, kürzen Sie ab, verstricken Sie sich nicht in eine Personaldiskussion und signalisieren Sie dem Abteilungsleiter, dass er das Problem eigenverantwortlich lösen wird. In einer Woche spricht man sich dann wieder. Zeitaufwand etwa fünf Minuten.
- Sie geben telefonisch grünes Licht für den fest verabredeten Kredit, können aber nicht persönlich vorbeikommen. Zeitaufwand etwa eine Minute.
- Sie bitten die Sekretärin, Sie vor Ihrer Abreise noch einmal an den Anruf bei dem Vorstandsvorsitzenden zu erinnern. Zeitaufwand etwa eine Minute.
- Sie sind für den Bewerber nicht zu sprechen und bitten die Sekretärin, die Anrufe spätestens ab jetzt genau zu filtern. Zeitaufwand etwa eine Minute.
- Sie bitten die Sekretärin, anzurufen und über Ihre Reise zu informieren. Zeitaufwand etwa eine Minute. (Ein ernsthafter Interessent läuft in sieben Tagen nicht weg.)
- Sie lesen den Brief und überlegen. Noch tun Sie nichts. Zeitaufwand etwa fünf Minuten.
- Sie teilen dem Vorstandsvorsitzenden Ihre Meinung mit, zurzeit noch nichts zu unternehmen, die Sache aber trotzdem ernst zu nehmen und verfolgen zu wollen. Bei dieser Gelegenheit klären Sie, was er sonst noch von Ihnen wollte. Zeitaufwand etwa zehn Minuten.
- Sie müssen all diese Dinge (Hund, Rasen, Unruhen) übergehen. Zeitaufwand etwa eine Minute.
Foto: R_K_B_by_Gerd Altmann_pixelio.de